Weihnachtspredigt von Vikar Günter Hänsel

Weihnachtspredigt von Vikar Günter Hänsel

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Weihnachtspredigt von Vikar Günter Hänsel

Liebe Gemeinde,

„Sehnsucht“ - ein Grundgefühl menschlichen Lebens, das ich in diesen Tagen, in den letzten Wochen und Monaten an vielen Stellen immer wieder stark gespürt habe. Sehnsucht nach einer heilen und friedvollen Welt. Sehnsucht nach Gerechtigkeit für alle Menschen. Sehnsucht nach einem angstfreien und gefahrlosen Leben. Weihnachten erinnert uns an unsere Sehnsüchte und Hoffnungen, die wir mit vielen Menschen in dieser Welt teilen. Neben diesen Sehnsüchten stehen die Erfahrungen der Einschränkung, des Verzichts und des Verlusts der letzten Monate: Menschliches Leben ist verletzlich und verwundbar. Die Wunden der Welt sind tief: Verfolgung, Krieg und Hunger sind schmerzhafte Zustände, von denen wir hören und sehen.

Die Corona-Pandemie hat in diesem Jahr die Verletzlichkeit des Lebens deutlich vor Augen geführt. Sicherheiten und Existenzen sind bedroht oder gar weggebrochen. Der Zwang zur Planbarkeit und Verfügbarkeit sämtlicher Lebensprozesse ist erschüttert worden. Wenn wir heute Weihnachten feiern, dann tun wir dies in einer Spannung: Auf der einen Seite stehen Gemeinschaftserfahrungen, Nähe zu geliebten und wichtigen Menschen, wenn auch in diesem Jahr kleiner und vorsichtiger. Auf der anderen Seite steht Einsamkeit, die Menschen in diesen Tagen spüren, und das Gefühl, dass es ihnen am Nötigsten fehlt.

Der Prophet Jesaja entwirft ein Bild vom Frieden, das all unsere Vorstellungen übersteigt. Im 9. Kapitel des Jesaja-Buches heißt es u.a.: Es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. Auf ihm wird ruhen der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn […] Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein und die Treue der Gurt seiner Hüften. Da wird Wolf beim Lamm wohnen und der Panther beim Böcklein lagern. Kalb und Löwe werden miteinander grasen, und ein kleiner Knabe wird sie leiten.“

Der Prophet Jesaja zeichnet das Bild eines idealen Herrschers. Er geht ihm um sein Volk! Nicht um ihn selbst! Vom Geist Gottes ist dieser Herrscher erfüllt. Macht will er, um Gottes Recht und Gerechtigkeit für alle zu ermöglichen. Es wird ein Friedensreich sein. Tier und Tier, Mensch und Tier werden friedlich miteinander leben und beieinander lagern – eine berührende Beschreibung dessen, was das Friedensreich auszeichnet. Die Sehnsucht nach einem neuen und heilvollen Leben klingt an. Mitten im Elend und im Geschrei der Welt hören wir von der Verheißung eines Herrschers, der weise, klug, besonnen, beratbar ist und der die Welt regieren wird, wie es Gott sich für seine Menschen und Tiere wünscht, wonach wir Menschen uns sehnen.

In den Jesajanischen Friedensverheißungen kommt die Sehnsucht nach Gottes umfassendem Schalom zum Ausdruck, die Sehnsucht und Verheißung nach Frieden und Einklang. Schalom in einem umfassenden Sinne, nämlich der Abwesenheit von Leid und Krieg. Diese Sehnsucht verbindet uns mit unseren jüdischen Geschwistern.

Als Christ*innen bleiben wir an der Krippe stehen, halten inne und werden berührt vom Kind: Frieden geht von ihm aus. Das Kind in der Krippe wird zum Symbol für die Kleinen und Schwachen und zum Eintreten für das Leben, das verletzt und bedroht ist. Im Tun dessen wird Frieden spürbar und sichtbar! Heute in dieser Welt! An der Krippe still werden heißt auch, selbst zur Krippe zu werden, in unserem Herzen einen Ort zu schaffen, in dem Gott geboren werden kann. Wenn Gott ins uns geborgen wird, dann erahnen wir etwas vom Einssein mit Gott.

In der Weihnachtsgeschichte nach Lukas ruft der Engel den Hirten zu: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren.“ Den Ruf des Engels höre ich in diesem Jahr viel lauter und deutlicher als in den letzten Jahren! „Fürchtet euch nicht!“ - kein Vertröstungsruf in dieser Zeit, sondern eine Kraftquelle und Wegzehrung für die Wochen und Monate, für unser Leben, auch nach dem Weihnachtsfest. Schauen wir nach dem Anderen, tragen wir die Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit in die Welt. Erzählen wir von Frieden und Gerechtigkeit! Erzählen wir von Gottes Nähe in diesen Zeiten, die zutiefst im Kind in der Krippe sichtbar wird. Erinnern wir uns der Wegzehrung: „Fürchtet euch nicht!“ Gestern, heute und allezeit!

Amen.

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