02/07/2024 0 Kommentare
Predigt zum 5. Sonntag der Passionszeit: Judika
Predigt zum 5. Sonntag der Passionszeit: Judika
# Predigten
Predigt zum 5. Sonntag der Passionszeit: Judika
Liebe Leserin,
lieber Leser,
seit der rasanten und starken Ausbreitung des Coronavirus (COVID-19) spüren wir in unserem Land und weltweit, wie sich unser soziales Miteinander verändert hat: Veranstaltungen sind abgesagt, viele Geschäfte, Schulen, Kitas und Hochschulen bleiben geschlossen und Gottesdienste können nicht mehr in gewohnter Weise stattfinden. Das öffentliche Leben wurde auf ein Minimum beschränkt. Viele Menschen sorgen sich um ihre soziale und berufliche Existenz. „Wie lange hält dieser Zustand an?“ - diese Frage höre und lese ich täglich in den Medien und Zeitungen.
Aufbrechen und Rausgehen! Davon ist im Predigttext für den Sonntag Judika zu lesen. Wie soll das gegenwärtig aussehen? Im Brief an die Hebräer im Kapitel 13 heißt es:
12 Darum hat auch Jesus, damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor.
13 So lasst uns nun zu ihm hinausgehen vor das Lager und seine Schmach tragen.
14 Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.
Draußen vor dem Tor zu sein und Jesu Schmach zu tragen, so deutet der Schreiber des Briefes den Lebensweg von Christinnen und Christen. Aufbrechen und losgehen, gewohnte Sicherheiten hinter sich lassen, das verlangt schon einiges ab. Wanderdasein, dies kennzeichnet auch die Glaubenserfahrungen der frühen christlichen Gemeinden. Nach draußen geht es, draußen vor das Tor, außerhalb des Lagers, jenseits der Stadtmauern, heißt es im Predigttext. Jesus stirbt draußen vor dem Tor schmachvoll den Kreuzestod. Jesus ist dort gestorben, auf dass wir Frieden haben, auf dass Versöhnung wächst.
Aufbruch und Wanderschaft beschreiben in der hebräischen Bibel zentrale Erfahrungen des Volkes Israels. Das Lager draußen vor dem Tor, wie es in Vers 12 heißt, erinnert an unsere Mütter und Väter im Glauben und dieser verbindet uns mit unseren jüdischen Geschwistern: Die Israeliten ziehen 40 Jahre durch die Wüste. Sie organisieren sich in Lagern. Gott versorgt sie mit Wachteln und Manna. Es gibt immer so viel, dass es für einen Tag reicht. Wer mehr einsammelt und hortet, dem wird das Essen schlecht. Es reist sich besser mit leichtem Gepäck – dazu fordert Gott heraus. Befreit hat sie Mose mit Gottes Hilfe aus der Sklaverei in Ägypten. Jetzt sind sie freie Menschen. Doch sie sind im Ungewissen. Zwar sind sie losgegangen, doch die Ankunft dauert noch. Mose führt sie auf dem beschwerlichen Weg in die Freiheit. Den Weg gehen sie, weil sie auf das gelobte Land hoffen. Wer aufbricht, der kann hoffen – aller Furcht zum Trotz. Draußen vor dem Lager baut Mose das Zelt der Begegnung. Das Zelt der Begegnung mit Gott.
Der Predigttext setzt die Kenntnis des Geschehens am Versöhnungstag Jom Kippur voraus. Der Vers, dass Jesus „draußen vor dem Tor“ gelitten hat, wirft die Fragen auf: Wo ist der Ort als christliche Gemeinde in der Welt? So wie Jesus nach draußen gegangen ist, soll nun die Gemeinde dorthin aufbrechen. Aus dem Glauben leben heißt unterwegs sein, so legt es der Hebräerbrief nahe. Ein unruhiges Unterwegssein in der Welt, denn die zukünftige Stadt suchen wir.
Der Ort draußen ist zugleich der Ort der Verheißung, hier erfüllt sich das Versprechen der Zukunft. Sich auf den Weg zu machen, aufzubrechen. Aufbrechen und Rausgehen lässt sich als eine Haltung des In-der-Welt-Seins beschreiben, die sich von Leid und Not, Einsamkeit und Trauer, Hoffnungslosigkeit und Bedrängnis berühren und bewegen lässt. Sich nicht vor Leid und Not zu verschließen! Sich der Fremde auszusetzen und sich dem Anderen zuzuwenden. Leid und Not nicht zu „vertrösten“, sondern manchmal nur gemeinsam auszuhalten. Beieinander zu bleiben, bewegt von der Sehnsucht, dass Gott alle Tränen abwischen wird (Offenbarung 21,4).
Wie kann das gegenwärtig möglich sein? Einmal öfter zum Telefon greifen, um sich nach einem Menschen in der Nähe oder in der Ferne zu erkundigen oder bei der Nachbarin zu fragen, ob etwas benötigt wird oder eben über die vielen sozialen Kanäle und Medien in Verbindung zu bleiben, wie über das Corona-Seelsorgetelefon der Berliner Notfallseelsorge, die Chat- und Mailseelsorge, die Fernseh- und Rundfunkgottesdienste. Sowohl das allabendliche „Balkonsingen“ (eine Aktion der EKD) um 19:00 Uhr als auch das tägliche Glockenläuten um 20:00 Uhr in unserer Kirche – das alles sind geistliche Kraftfelder mitten in der Welt, eben „draußen vor dem Tor“. Wir sind mit einander unterwegs, manche Formen sind noch ungewohnt und fremd, doch immer miteinander verbunden. Im Gebet sind wir es auch: Wir bergen uns in Gottes Nähe. Legen alles ab, was uns bewegt und beunruhigt. Wir erinnern uns daran, dass wir mit Gott und durch Gott verbunden sind.
Dieses Gebet für Momente des Innehaltens begleite Sie im Alltag:
Gott,
ich bin da.
Du bist da.
Das genügt.
Ich bin mit dir verbunden.
Ich bin mit allen Menschen, die zu dir beten und an die ich denke, verbunden.
Sei ihnen nahe.
Alles was mich bewegt, bringe ich vor dich:
STILLE
VATERUNSER
Amen.
Bleiben Sie behütet!
Ihr Vikar Günter Hänsel
Kommentare